Trends und Tendenzen im Coaching: Einordnung der Ergebnisse der Marburger Coaching-Studie 2022

analia-baggiano-7_Gkf5JZRv4-unsplash-bear

Einordnung der Ergebnisse der Marburger Coaching-Studie 2022

Bereits seit 15 Jahren führt die Philipps-Universität Marburg alle zwei bis drei Jahre Marktanalysen des deutschsprachigen Coachingmarktes durch, so dass sich die Ergebnisse gut längs und quer interpretieren lassen. Eine Besonderheit dieser Studie sind die verschiedenen Perspektiven: Seit einigen Jahren werden sowohl Coaches als auch Personalverantwortliche und Coachees befragt, so dass auch Parallelen, Unterschiede und auch kausale Zusammenhänge zumindest angenommen werden dürfen. Die aktuelle Studie bringt noch eine weitere Besonderheit mit sich: Aufgrund der Pandemie wurde die 2019 begonnene Studie pausiert und erst Ende 2021/Anfang 2022 zu Ende geführt, so dass viele Ergebnisse unter akutem Corona-Einfluss stehen.

Die gesamte Studie von Prof. Michael Stephan und Carmen Wegner kann bestellt werden unter coaching[at]staff.uni-marburg.de. Hier einmal meine persönlichen „Highlights“ und Ableitungen:

Digital spielt geringe Rolle – für Geschäft und Coachings selbst

Analoges Coaching war zum Befragungs-Zeitpunkt der Standard, und zwar für mich in überraschender Eindeutigkeit. So gaben nur 17 Prozent der befragten Coaches und 13 Prozent der Unternehmen an, überhaupt auf Coaching-Plattformen vertreten zu sein (damit sind zunächst sowohl Vermittlungsplattformen wie die Rauen Coaching-Datenbank als auch Service-Plattformen wie Sharpist gemeint). Dazu passt, dass Unternehmen eine deutliche Präferenz für analoge Coachings hatten und die Umsätze bei den befragten Coaches 2020 um 20 Prozent einbrachen. Wer auf On-Demand-Service-Plattformen unterwegs war, erlebte hier massive Umsatzsteigerungen (bzw. korrekter: einen höheren Umsatzanteil) in diesem Zeitraum – von unter 4 Prozent in 2018 auf ca. 20 Prozent.

Ich selbst arbeite bereits seit Mitte 2019 mit Sharpist und habe bei diesem Modell einiges sehr zu schätzen gelernt: die Vielfalt an Coachees aus ganz Europa, mit denen ich in rein analogen Modellen wohl nie zusammen gekommen wäre. Den Komfort eines professionellen Partners, der eben nicht nur als „Makler“ fungiert, sondern Personal- und Projektverantwortliche fachkundig berät und den Coaches viel administrativen Aufwand erspart. Und auch die beobachtbare Demokratisierung von Coaching-Angeboten (neue Zielgruppen, flexiblere Arbeitsweise), das ist aber nur eine Vermutung, erfährt über solche Angebote einen echten Schub.

Bei „analog vs. digital“ bin ich besonders gespannt auf die Ergebnisse der nächsten Studie (2024?). Ich erwarte, dass sich hier extrem viel tun wird und insbesondere Unternehmen als Auftraggeber einen deutlichen Schwenk gen Online-Coaching vollzogen haben werden – auch aus Kostengründen.

Anlässe für Coaching: Führung bleibt ganz vorn

„Reflexion über Führungsverhalten“ und „Problemlösungskompetenz“ sind die dominanten Themen sowohl aus Sicht der beauftragenden Unternehmen als auch aus Perspektive der Coaches. Dass persönliche Fragestellungen wie „Standortbestimmung“ oder „Work/Life-Balance“ in der Wahrnehmung der Coaches eine deutlich prominentere Stellung einnehmen, überrascht nicht; sind diese Themen nachvollziehbarerweise oft die „Probleme hinter den (genannten) Problemen“.

Die Studie altert auch schlecht mit Blick auf die Themen, die von den Befragten als „Zukunftsthemen“ bezeichnet wurden: Führen auf Distanz, Resilienz, Change und Umgang mit der VUCA-Welt… alles Themen, die bei mir (und sicher bei Kolleg*innen) heute schon „Evergreens“ sind im Coaching.

Dass „Führung“ ein Kernthema im Coaching ist, erscheint auch angesichts der Tatsache sinnvoll, dass Coaching nach wie vor überwiegend als Instrument der Führungskräfte-Entwicklung betrachtet wird und hauptsächlich im Top-Management und gehobenen Management zum Einsatz kommt. Meine anekdotische Erfahrung ist, dass zunehmend bereits der Führungskräfte-Nachwuchs Zugang zu Coaching bekommt. Diese Vermutung würde ich sehr gern mit dem nächsten Studien-Durchlauf bestätigt sehen: Die Ansprüche an „gute Führung“ steigen, der Respekt vor der Führungsrolle ebenfalls. Gerade diejenigen, die aus den „richtigen Gründen“ (also: weil sie wirklich gut führen möchten) hadern, unterstütze ich persönlich am liebsten – egal, ob „Newbies“ oder „alte Hasen“.

Wer in Coaching investiert, investiert insgesamt mehr in Personalentwicklung

Noch ein interessantes Detail: Die Unternehmen in der Studie (also Auftraggeber für Coachings) investieren doppelt so viel in Personalentwicklung wie deutsche Unternehmen im Schnitt – etwa zwei Prozent des Brutto-Umsatzes. Die Budgets für Coaching nehmen dabei nur einen kleinen Teil (mehrheitlich unter 15 Prozent) ein. Coaching erscheint also als ein Baustein einer insgesamt stärker auf Personal- und Persönlichkeitsentwicklung ausgerichteten Strategie.

Mich freut auch, dass laut aktueller Coaching-Studie ganze 41 Prozent der Befragten auf Unternehmensseite selbst eine Coaching-Ausbildung absolviert haben. Neben der Antwort auf die Frage „Wo landen bloß die ganzen Ausbildungs-Absolventen?“ liefert diese Zahl Indizien für eine gemeinsame Professionalisierung auf Anbieter- und Kundenseite – eine gemeinsame Sprache, ein geteilter Ethos und einfachere Verständigung über Weg und Ziel im Coaching, davon profitieren beide (bzw. in Dreier-Vertragsverhältnissen alle drei) Seiten. Dass Unternehmen mit eigenem Coaching-Pool auch interne Coaches nutzen, ist übrigens Standard – allerdings üblicherweise zu nur einem geringen Anteil; die externen Coaches überwiegen deutlich in den Pools.

 

Coaching is here to stay

Nichts spricht dafür, dass Business Coaching an Bedeutung verlieren wird in den nächsten Jahren. vieles spricht für eine festere Rolle und auch für eine weitere Professionalisierung des Marktes: Zum Beispiel der gleichbleibend hohe Anteil der Coaches mit Zusatzausbildung (ca. 84 Prozent). Aufgrund der neueren universitären Ausbildungen, die in früheren Studien-Jahrgängen noch nicht ausgewiesen waren, lieht der Anteil der qualifiziert ausgebildeten Coaches noch höher. Was diese Zahlen – und alle Ergebnisse der Studie – mit Vorsicht genießen lässt: Viele Teilnehmer*innen wurden offensichtlich durch „Trommeln“ der großen Verbände generiert, die über Mindestanforderungen an zertifizierte Ausbildungen weiterhin einen wichtigen Beitrag zu Transparenz und Qualitätsstandards im ungeschützten Berufsfeld leisten. Die Marktstudie beleuchtet also nur den ohnehin „helleren“ Teil des Marktes. Ich bin nach wie vor eine Freundin eines geschützten und staatlich regulierten Coach-Begriffs (ähnlich den zertifizierten Mediatoren ).

Meine persönliche Checkliste für alle, die nach Orientierung auf dem Weg in ein gutes Coaching suchen, habe ich vor längerer Zeit schon mal aufgeschrieben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert