Nachhaltigkeit und Verantwortung in Unternehmen – Reine Rhetorik oder smarte Strategie?

Corporate Responsibility gehört zu den Themen, die mich seit dem Studium interessieren, mit denen ich aber beruflich erstaunlich wenige Berührungspunkte habe. Entsprechend freue ich mich jedes Mal, wenn ich Menschen treffe, die die Professionalisierung nachhaltigen unternehmerischen Handelns vorantreiben. Mit Niels Christiansen kam ich auf dem Beachcamp in Sankt Peter Ording ins Gespräch und freue mich, dass er mir heute noch einmal in Ruhe einige Fragen beantwortet.

 

Niels, gemeinsam mit deiner Geschäftspartnerin Ting Lee leitest du die Nachhaltigkeitsberatung sustaineration – was ist eure Mission?

Schon im Studium hat uns gestört, wie die Wirtschaft in weiten Teilen arbeitet. Uns treibt die Frage um, wie sich die Lebensgrundlage für zukünftige Generationen aufrechterhalten lässt. Daher setzt sich der Name unserer Nachhaltigkeitsberatung auch zusammen aus „sustainable“ und „generation“.

 

Wie muss ich mir eure Arbeit vorstellen? Wahrscheinlich findet ihr in Unternehmen ganz unterschiedliche Ausgangssituationen vor, oder?

Genauso ist es. Entsprechend unterschiedlich sieht unsere Arbeit aus: Momentan haben wir beispielsweise einen Kunden aus dem Pharmabereich, bei dem wir ein Umweltmanagementsystem implementieren als Vorbereitung auf eine ISO-Zertifizierung. Ein anderer Kunde beschäftigte sich bislang noch gar nicht mit dem Thema Nachhaltigkeit und sucht nach Anknüpfungspunkten – hier führen wir erst einmal einen Basis-Check durch, betrachten Stakeholder, Wettbewerber etc.

 

Mit welcher Motivation fangen Unternehmen an, sich ernsthaft mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen, also: Wie kommen sie auf die Idee, dass sie Unterstützung benötigen?

Manche Unternehmen sind ständig mit dem Thema konfrontiert oder müssen beispielsweise EU-Normen gerecht werden und für entsprechende Rechtssicherheit sorgen. Bei Kunden, die mit Naturprodukten arbeiten, liegt Nachhaltigkeit bereits in ihrer Geschäftstätigkeit begründet.

Ich habe den Eindruck, dass sich der Mittelstand tendenziell ernsthafter mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt als größere Unternehmen. Da dauert zwar vieles länger und wird nicht so offensiv nach außen getragen, dafür ist es dann aber auch authentischer und langfristig verankert.

 

Welche Entwicklung hat das Thema „Corporate Responsibility“ deiner Einschätzung nach in den letzten Jahren in Deutschland genommen? Warum lese ich kaum noch von Corporate SOCIAL Responsibility und erst recht nicht von Corporate Citizenship?

Ich finde das „Social“ insofern irreführend, als dass es suggeriert, wir würden über (freiwilliges) soziales Engagement sprechen – dabei geht es um eine ganzheitliche Ausrichtung auf Umwelt- und Sozialthemen. Wir sprechen im Kerngeschäft von Corporate Responsibility und außerhalb, also im ehrenamtlichen, karitativen Verständnis, von Corporate Citizenship. Aber Anglizismen kommen in deutschen Unternehmen eher schlecht an, insofern bin ich mit „Nachhaltigkeit“ ganz glücklich.

 

Siehst du Unterschiede zwischen deutschen und beispielsweise anglo-amerikanischen Unternehmen, was den Reifegrad des Themas angeht?

Den sehe ich, aber das liegt in der Natur der Sache: In den Staaten hat sich das Thema CR in den fünfziger Jahren entwickelt, weil Arbeitsbeziehungen dort kaum staatlich reguliert waren zuvor. Bei uns ist CR erst seit etwa 15 Jahren ein Thema.

Aktuell nehme ich einen Wendepunkt wahr: Während Corporate Responsibility in den vergangenen Jahren noch von vielen Unternehmen als Marketinginstrument betrachtet wurde, setzt sich jetzt langsam ein Grundverständnis durch, nach dem nachhaltiges Arbeiten eben die Grundlage unternehmerischen Handelns sein muss.

 

Die VW-Dieselaffäre scheint mir gerade wieder alle Kritiker auf den Plan zu rufen, die CR ohnehin gern zum PR-Feigenblatt degradieren. Was entgegnest du diesen Stimmen?

Das Killerargument vom „Greenwashing“ höre ich ehrlich gesagt ständig. Und eigentlich dürfte so etwas wie bei VW in einer nachhaltigen Wertschöpfungskette nicht passieren, denn für jeden selbst gesetzten Umweltstandard müssen Prüfmechanismen hinterlegt werden.

Für mich gibt es aber ein klares Indiz, an dem ich erkenne, wie ernst man die Nachhaltigkeitsbehauptungen eines Unternehmens nehmen kann: Wenn es parallel eine Unternehmensstrategie mit dem Tenor „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ UND eine Nachhaltigkeitsstrategie gibt, werde ich misstrauisch. Ich achte immer darauf, wie nachhaltig die Unternehmensstrategie als Ganzes angelegt ist und wie konsequent man sie in der gesamten Wertschöpfungskette wiederfindet.

Auch an der Höhe der selbst gesetzten Messlatten kann man sich ein wenig orientieren: Wer die sehr strenge EMAS-Validierung anstrebt, meint es offensichtlich ernst. Da ist dann auch für uns wenig Spielraum in der Arbeit mit dem Kunden. Reporting-Normen dienen übrigens eher als Orientierung, sind aber sehr hilfreich, um abzuschätzen, worauf man sich einlässt.

 

Welche Rolle spielt die Unternehmenskommunikation (intern und extern) bei der Etablierung des Nachhaltigkeitsgedankens und der Implementierung der nötigen Prozesse?

Die externe Kommunikation ist allein wichtig, weil Transparenz eine wesentliche Voraussetzung für Nachhaltigkeit ist. Die „Großen“ tragen hier meiner Meinung nach etwas zu dick auf, während der Mittelstand zu bescheiden ist und teilweise auch Angst hat vor den „offenen Flanken“, die sich über das Thema ergeben könnten.

Die Interne Kommunikation ist ganz wesentlich. Die Mitarbeiter sind die tragende Säule, wenn die Nachhaltigkeitsstrategie nicht zum „Schrankbuch“ werden soll, wie wir das hier gern nennen, sondern erkennbar gelebt wird. Viele Unternehmen glauben, sie könnten überhaupt erst über Nachhaltigkeit mit ihrer Mannschaft sprechen, wenn das Thema abgeschlossen ist – aber das ist es nie, nachhaltiges Arbeiten ist ein dauerhafter Prozess und sollte auch entsprechend präsent sein in der Kommunikation.

 

Hast du ein persönliches Paradebeispiel für eine gelungene Nachhaltigkeitsstrategie?

Ja, das ist das Neumarkter Lammsbräu (kein Kunde von uns)! Da merkt man wirklich auch an Kleinigkeiten, dass Nachhaltigkeit immer als Thema präsent ist, zum Beispiel wenn in der Diskussion um Getränkeverpackungen für Kinderportionen alle Faktoren berücksichtigt werden und aus Sicherheitsgründen die Entscheidung dann doch mal auf das aus Umweltsicht zweitbeste Material fällt. Und: Es schmeckt!