Dieser Satz stammt nicht aus einem Kinderbuch, sondern aus einem ZEIT-Interview mit der Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Maren Urner. Sie spricht darin darüber, wie sehr wir die Macht von Fakten und Argumenten überschätzen und warum es uns (im Gespräch ging es um Politiker*innen) so schwerfällt, andere Menschen emotional zu verstehen und zu erreichen.
In meinem Kopf erschienen direkt Verknüpfungen zu Change- und Transformationserfahrungen. Ein paar „Klassiker“, die Veränderungen immer wieder ausbremsen:
Wir verstehen zu wenig von der „Psychologie der Veränderung“: Viele Change-Profis sind super erfahren mit der Betriebswirtschaft, den Prozessen, angesagten Methoden… hinter Veränderungen. Widerstand wird erst gar nicht registriert, als störend wahrgenommen oder weitgehend ignoriert. Dabei hat schon ein Basisverständnis menschlicher Psychologie immensen Einfluss, wie wir Projekte angehen. Ein Beispiel: Verstehe ich, dass unsere Gefühle unser Denken wesentlich prägen, Denken unser Fühlen aber kaum beeinflussen kann, ändert sich die Veränderungskommunikation fast automatisch.
„Wir Menschen sind emotionale Blobs auf zwei Beinen“
Wir sind geprägt von einem mechanistischen Führungsverständnis: „Führungsarbeit ist größtenteils Kommunikation“ – ja, klar, diese Binse unterschreibt wohl fast jede Führungskraft. Gelernt und anerkannt ist aber nach wie vor ein tayloristisch geprägtes Management-Verständnis, in dem sich viele Menschen lieber hinter Charts, Modellen und anonymen Beschlüssen verstecken als sich wirklich auf die Beziehungsarbeit, die hinter „Leadership“ steckt, einzulassen. Diese Beziehungsarbeit beginnt idealerweise da, wo’s am schwersten ist: Bei uns selbst. Prof. Urner denkt im verlinkten Interview etwas provokant über „emotionale Reifezeugnisse“ für politisches Führungspersonal nach. Ein ordentliches Budget an „Trainingsstunden“ würde schon einen riesigen Unterschied machen.
Fremdsprache „Emotion“: Wir brauchen Vokabular und Training
Uns fehlt eine angemessene Sprache: Ich nutze manchmal zum „Check-In“ in Workshops gern ein Gefühlsrad oder ähnliche Darstellungen. Nicht nur, weil die deutsche Sprache so viel aussagekräftigere Antworten auf die Frage „Wie geht es dir?“ bereithält als „gut“, „geht“ und „muss“, sondern auch, weil man sich so wunderbar auf Personen und auch Situationen einschwingen kann. In einem Projektteam unter ordentlichem Veränderungsdruck antworteten alle Teilnehmenden sinngemäß „ich bin zufrieden, weil mein Projektpart xy ganz gut läuft“. Wenn die Anamnese so nebulös ist, ist die Behandlung entweder ein Holzhammer oder Trial- and-Error – beides nicht zielführend.
Uns fehlen Übung und Sicherheit: Emotionen verstehen und zulassen bedeutet nicht, dass wir uns alle Flauschbälle zuwerfen und miteinander weinen sollen im Job. Solch klischierte Fantasien entstehen aber schnell; das ist eine Folge langjährigen Negierens von Emotionen im beruflichen Kontext. Wie wär’s zum Beispiel mit ein bisschen „selektiver Verletzlichkeit“? Eine*r muss anfangen und Emotionen aus der Tabu- in die akzeptierte Zone ziehen. Gerade im Kontext von Transformation und Change lässt sich dies sogar taktisch einsetzen: Eine Führungskraft, die einen Fehler, eine Fehleinschätzung, eine echte Herausforderung… preisgibt, weckt nicht nur Aufmerksamkeit. Sie steckt auch ein neues, sicheres Terrain für alle anderen ab.
„Menschen handeln, wenn sie emotional berührt sind, weil Emotionen die Währung für Bedeutung sind. Fakten allein bringen niemanden dazu, das eigene Verhalten zu ändern“, sagt Maren Urner an einer Stelle im Interview. Wenn wir das verstehen, ist viel gewonnen.