Die Zukunft des Coachings: Was stellen wir bloß an mit unserer Intelligenz?

Dieser Monat ist mein persönlicher Adventskalendar der Tagungen, Kongresse und Seminare – hinter dem 6. November steckte ein spontaner Einsatz bei den Praxistagen Online- und Social Media-Kommunikation der SCM in Köln, gefolgt von der Tagung Interne Kommunikation am 7. und 8. November in Düsseldorf. Ende dieser Woche folgt mein erstes Hamburger Barcamp, auf das ich sehr gespannt bin. Und direkt hinter den ersten Tagungstürchen des Monats verbarg sich am 2. und 3. November der Coaching-Kongress des DBVC (Deutscher Bundesverband Coaching e.V.) in Potsdam. Hier ging es im Wesentlichen um die Zukunft des Berufsbilds „Business Coaching“ – insbesondere unter den Vorzeichen einer digitalisierten Arbeitswelt und immer besseren Einsatzmöglichkeiten für künstliche Intelligenz.

Lieber miteinander als gegeneinander: menschliche und künstliche Intelligenz.

Meine persönlichen Eindrücke zum Miteinander künstlicher und menschlicher Intelligenz im Coaching,  zusammengefasst ich in fünf Thesen:

Empathie: Gern überbewertet.

Eines der Lieblingsargumente der Fans „echter“ Coaches (also denen mit Hirn, Herz und Lastern) ist ja, nur Menschen seinen empathiefähig. Auf das emotionale Empfinden bezogen mag das stimmen – was die kognitive Empathie und vor allem die Fähigkeit, Empathie auch auszudrücken angeht, verschwindet dieses Alleinstellungsmerkmal zusehends. Wie der (umstrittene) Turing-Test nahe legt, bei dem ein Drittel der Probanden einen Avatar für einen echten 13-jährigen Jungen hielten, wird die Unterscheidbarkeit zwischen Mensch und KI zumindest geringer. Und das kann durchaus Vorteile haben: Therapie-Software wie der SimCoach werden beispielsweise in der Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen bei US-Soldaten teilweise besser angenommen als ein Mensch. Bei diesen Formaten ist den Teilnehmern bewusst, dass sie mit einer Maschine kommunizieren. Dieses Wissen erleichtert es ihnen oft, sich zu öffnen – ihr Gegenüber wird sie nie verurteilen, hat keine Erwartungen, keine Emotionen, auf die der Coachee (oder hier: Patient) reagieren kann oder gar Rücksicht nimmt. Die Empathiewerte sind übrigens auch bei diesen Programmen im Schnitt höher als beim menschlichen Therapeuten. Empathie (allein) lässt den menschlichen Coach also nicht gewinnen gegen seinen seelenlosen Konkurrenten.

Effizienz: Mensch, geh‘ nach Hause, .

Wer in ein Coaching investiert, wird einen Gegenwert für sich erleben wollen. Das trifft auf Privatzahler zu, wird bei Unternehmen, die Coaches zunächst als ein betriebswirtschaftlich adäquates Mittel zur Organisations- und Personalentwicklung ansehen, noch deutlich heikler für meine KollegInnen und mich. Kleine, angenommene Modellrechnung: Wenn ein technisches Tool für wenige Euro Lizenzgebühren als 70-prozentig und der ungleich kostenintensivere Coach im Schnitt als 90-prozentig erfolgreich betrachtet wird – wie viele Entscheider werden einen solchen Qualitätsunterschied als relevant betrachten? Was Kosten, Verfügbarkeit und Flexibilität angeht, ist uns jede ‚intelligente‘ Maschine überlegen.  Die These von Dr. Christoper Rauen (Vorstand DBVC), dass das „untere Drittel“ aller Coaches durch die Digitalisierung wegfalle, halte ich für absout realistisch und passender als die häufig geäußerte Annahme, dass die ‚empathischen, beratenden, komplexitätsreduzierenden‘ Jobs in Zukunft per se sicherer seinen als repetetivere Tätigkeiten wie ‚Flachbildschirmrückseitenberatungen‘ (danke Gunther Dueck für dieses schöne Wort). Und, um noch ein letztes Mal auf das Thema Empathie einzugehen: Wer einmal einen guten Service-Bot erlebt hat, wird dieses Erlebnis nicht mehr gegen empathiefreien 08/15-Services durch Menschen eintauschen wollen – theoretisch über eine menschliche Kompetenz zu verfügen heißt eben noch lange nicht, sie professionell einzubringen.

Einsatzmöglichkeiten: Dreamteam Mensch UND Maschine

Die Konferenz lebte – bei recht ähnlichen Fragestellungen in den einzelnen Slots – von den verschiedenen Perspektiven der Referenten und Panelteilnehmer. Mich faszinierten die vielen Einsatzmöglichkeiten von Technik und künstlicher Intelligenz aus eher beratungsfernen Bereichen – beispielsweise Notfallsimulationen für Feuerwehren, in denen richtiges Verhalten bei Großbränden ohne Risiko trainiert werden können oder aber (auch eine Gefahrenzone…) Nachwuchs-Lehrer ihre Präsenz, mit realistischen Konsequenzen und doch folgenlos, vor einer virtuellen Teenie-Klasse trainieren können. Auch klassische Verhaltenstherapien lassen sich schon heute verkürzen und erleichtern durch selbst gesteuerte virtuelle Umgebungen (wie nah gehe ich an den Abgrund oder an die Spinne?). Diese gegenseitige Verstärkung aus menschlicher Erfahrung, menschlichen Eigenschaften und technischer Überlegenheit finde ich faszinierend und die Vorstellung, diese Kombi nicht bestmöglich zu nutzen, fahrlässig.

Ach ja, was zum Thema „Einsatzmöglichkeiten in einer digitalisierten Welt“ natürlich auch nicht vergessen werden darf: Die Veränderung unserer Arbeitswelt schafft natürlich einen enormen Unterstützungsbedarf durch Coaches. Also, durch die verbleibenden zwei Drittel im Töpfchen der „Guten“. Damit zum nächsten Thema:

Evolution: Was macht einen guten Coach in Zukunft aus?

Was wohl viele Coaches insbesondere in der Arbeit mit Führungskräften aktuell beobachten: In einer Zeit, in der altbekannte Steuerungsinstumente nicht mehr funktionieren (können), gibt es eine umso stärkere Sehnsucht danach, mit Tools, Controlling und ganz viel Micro-Management wieder für Ruhe und Sicherheit zu sorgen – „mehr vom Gleichen“, wie so oft ein gutes ‚Recipe for desaster‘ und folgerichtig für die Verantwortlichen ein verlässlicher Weg in den Burn-Out. Dr. Herrmann Küster – der als gelernter Physiker aus meiner Sicht viele spannende Perspektiven einbrachte – schätzte die Teilmengen verschiedener Führungsstile und deren aktuelle Relevanz(veränderung) in Unternehmen und Organisationen folgendermaßen ein: „Aktuell haben wir nur etwa zehn Prozent ‚Catalysts‘ in Führungspositionen. Nur diese potential-, entwicklungs- und damit kulturorientierten Menschen können wirklich ihren Führungsstil ‚zurückschalten‘ und damit situativ führen – die ‚experts‘ (55%) und die strategisch/zielorientierten ‚achiever‘ (35%) verstehen zwar rational, was mit ’situativer Führung‘ gemeint ist, sind aber in ihrem Führungsverständnis defizitorientiert und können die Ressourcenorientierung eines ‚Catalysts‘ gar nicht umsetzen.“

Gut und agil zu führen setzt damit – und das scheinen viele zu verwechseln oder zu vergessen – weder nur auf agile Methoden noch versucht es, alle im Team irgendwie agiler zu machen, sondern es bedeutet, Teams agil zu steuern und mehr die Organisation zu entwickeln als Mitarbeiter „aufzuschlauen/abzuholen“ (über Sprache und damit verknüpfte Konzepte schreibe ich bei nächster Gelegenheit; das Thema beschäftigt mich gerade sehr). Ein guter Business-Coach systemischer Prägung kann nur ein ‚Catalyst‘ sein, sonst ist er ein Trainer (Experte) oder Berater (Achiever). Damit verringert sich die Gruppe der zukunftsfähigen, mehrwertigen Coaches weiter – es sei denn, man nähme an, die Mindsets wären außerhalb der Unternehmen durchgehend weiter entwickelt als in ihnen. Das glaube ich persönlich aber nur in Grenzen.

Die Kernfrage: „Wie viel Unsicherheit kann (und will) ich aushalten?“ beschäftigt also gerade viele Coachees. Der Coach als ‚Rollenbild-Moderator‘ in dynamischen Systemen und bewegten Zeiten – das ist eine Rolle, die ich gern einnehme und für wirklich hilfreich halte. Insbesondere im Kombination mit dem letzten gesunden ‚E‘ dieser kleinen Liste. Das nenne ich jetzt mal ganz ungezwungen:

Echte Zeit: Raum zum Denken, nicht zum Rödeln

So banal das klingen mag – Zeit und Raum für nicht-zielorientierte Gedanken ist gerade für Menschen in Führungspositionen rar und damit umso kostbarer. Wohin führt mich ein Gedanke, wenn ich ihn weiterdenke? Fühlt sich das in seiner Konsequenz richtig an? Gibt es neben Opion A und B vielleicht noch ganz andere Lösungen?

Ich, zum Beispiel, finde Lösungen für komplexe Fragen besser im Schwimmbad als am Schreibtisch und bei wirklich wichtigen persönlichen Entscheidungen habe ich in den letzten Jahren gern Coaching in Anspruch genommen. Und die vermeintlich unperfekten Persönlichkeiten meiner Coaches – Un-/Missverständnisse, anschwellende und doch professionel zurückgehaltene Tränen, kreative Perspektivwechsel , um nur ein paar Beispiele zu nennen – hatten großen Anteil daran, dass ich schwer wiegende Entscheidungen mit großer Sicherheit und Zuversicht fällen konnte.

Der Kabarettist Vince Ebert brachte am Rande des Kongresses einen der großen Vorteile menschlichen Bewusstseins hübsch auf den Punkt: „Wahre Intellligenz besteht doch darin, auch mal zu sagen: ‚Scheiß‘ auf die Effizienz; das Wetter ist schön, ich gehe jetzt Eis essen.“

Ich brauche jetzt einen Kaffee. Vorschläge für weitere ‚Es‘ und Rückfragen nimmt mein unausgereiftes System gern an.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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