Bullshit-Bingo oder Rollenvielfalt? Über Rollen, transparente Kommunikation und (meine persönliche) Entwicklung

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In meiner Selbstbeschreibung stehen gleich mehrere „Job Profiles“: Beraterin, Trainerin, Coach, Moderatorin. Wer das liest, mag dazu unterschiedliche Theorien entwickeln: Vielleicht „das übliche Bullshit-Bingo unter Freien“? Oder „sieht nach leichter Entscheidungsschwäche aus; hat die Frau ein ein Positionierungs- oder gar Identitätsthema?“ Das Ideal, wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre der Gedanke: „Wie gut, ich kann mit jemandem arbeiten, die sich auf unterschiedliche Szenarien und Herangehensweisen einlassen kann“.

Rechtzeitig über Erwartungen und Arbeitsweisen sprechen

Ob das Chamäleon weiß, dass es die Farbe wechselt?

Das ist aber aus gutem Grund ein Ideal, denn Trainer, Coach… sind sprachliche Labels, mit denen wir sehr unterschiedliche Assoziationen verbinden und die aus dem umgangssprachlichen Gebrauch oft als austauschbar gelten, auch bei denjenigen, die theoretisch klare Definitionen kennen und nutzen. Bestes Beispiel dafür ist das Coaching: „Können Sie uns mal durch diesen Prozess coachen?“ kann alles heißen von „wir brauchen einen Plan und möchten, dass eine Expertin ihn für uns erstellt“ über „wir denken an einen Coaching-Prozess im engsten Wortsinn“ bis hin zu „wir werden je nach Prozessphase sehr unterschiedliche Unterstützungsformen benötigen“.

Ich nehme gleich mal eine Einordnung vor, welche Rolle sich wofür eignet, was sie kennzeichnet und wie sich diese Rollenvielfalt in meinem beruflichen Alltag entwickelt (hat). Das Wichtigste aber vorweg: Sich mit Kunden, Kooperationspartnern und Dienstleistern sehr früh und sehr klar darüber zu verständigen, welche Erwartungen und Arbeitsweisen aufeinandertreffen, hilft ungemein, um effizient und harmonisch zusammen zu arbeiten! Ich thematisiere dieses „wie?“ mittlerweile aktiv vor und auch immer wieder im laufenden Projekt.

Fangen wir also an mit der Beraterin: Gemeint ist hierbei ein Experte, der über ein Wissen/Erfahrung verfügt, das in der Organisation nicht vorhanden oder ausreichend abrufbar ist.

Chancen und Risiken: Zwei große Vorteile bei externen Beratern: Zum einen sind sie temporär und damit flexibel einsetzbar, zum anderen bringen sie oft einen klareren Blick auf ein System, eine Aufgabe mit, als dies innerhalb der Organisation noch möglich ist. Auf ein „mehr“ an Wissen dürfen Organisationen auch bauen, da in Agenturen und Beratungsunternhemen das Lerntempo und die Innovationsfreude (oder auch: Innovationsnotwendigkeit) durch wechselnde Kunden und Projekte sehr hoch ist.

Ein klassischer Zwist besteht zwischen dem fachlichen Anspruch und der immer mitlaufenden Rolle als Dienstleister: Die finale Entscheidung, was genau „gut“ ist, bleibt beim Kunden. Hier tariert jede/r BeraterIn für sich aus, welche Prioritäten er oder sie setzt, wie vehement er oder sie sich für eine bestimmte Lösung einsetzt. Abgesehen von diesen letzten Entscheidungen liegt sehr viel (zugeschriebene) Verantwortung bei den Beratern: Sie bleiben im Hintergrund, wenn’s gut läuft, werden aber gern genutzt, um unangenehme Entscheidungen zu rechtfertigen. Davon können Unternehmensberater ein Lied singen, deren Image mir recht homogen schlecht zu sein scheint in Belegschaften: „Wenn die Anzugträger kommen, muss es wohl übel bestellt sein um’s Unternehmen.“  

Wie, wann, wie stark ich diese Rolle lebe: Als Kommunikationsberaterin nutze ich selbst Beratung als „Umbrella Term“ – ganz ähnlich wie KundInnen das auch tun. In meinem Verständnis zahlen alle Rollen, die ich einzunehmen anbiete, auf gute Beratung ein. Je mehr Beratungserfahrung ich ansammle, desto weniger gehe ich in die reine Beraterrolle – in der ich selbst übrigens als tendenziell vehement wahrgenommen werde. Das hat wohl viel mit meinem individuellen Glaubenssatz zu tun, dass ich mein Geld nicht wert bin, wenn ich widerstandlos bei „dann machen wir halt Fähnchen!“ einknicke…

Je länger ich berate, desto weniger berate ich

Ein Trainer vermittelt Wissen und Können. Hinterher ist man schlauer als vorher – soweit die Theorie.

Chancen und Nebenwirkungen: Hängen aus meiner Sicht neben den fachlichen didaktischen Qualitäten der Trainer immens an der Haltung der anleitenden Person, daher ganz schnell dazu

wie, wann, wie stark ich diese Rolle lebe: Wenn ich selbst es vermeiden kann, nutze ich diesen Terminus gar nicht – dass er in meiner Selbstbeschreibung auftaucht, ist also schon ein Zugeständnis an ein vermeintliches Verständnis Dritter. Ich konzipiere und leite Workshops. Das beschreibt nicht nur passender, was Teilnehmende erfahren (nämlich, dass sie richtig arbeiten müssen), sondern bringt auch meiner Meinung nach mehr angemessene Augenhöhe hinein: Denn tatsächlich gebe ich sowohl ein wenig Theorie als auch meine persönliche Erfahrung aus fast 20 Jahren frontal in die Runde. Die Erfahrungen und Ansichten der Teilnehmenden sind aber nicht weniger Wert – und dabei ist es unerheblich, ob wir von einem Volontär sprechen, der mit einem gesunden Unbehagen auf unser „so macht man das!“ blickt oder eine erfahrene Kommunikatorin, deren Erfahrung sich grundlegend von meiner unterscheidet. Meiner Meinung nach lernen Workshop-Teilnehmer mindestens so viel voneinander wie von mir als „Trainerin“. Ich habe zwar schon immer viel Wert auf eine entspannte, wertschätzende Erfahrung in meinen Seminaren gelegt, erlebe aber, wie meine eher zurückgenommene Haltung und Arbeitsweise sich hier gegenseitig verstärken. Für mich ist jedoch wichtig, mich auf jede Gruppe neu einzulassen – die Dynamiken sind sehr unterschiedlich und gelegentlich ist eine „klassische“ Trainer-Rolle der Erwartung und Kultur (beispielsweise bei Inhouse-Seminaren) engemessener.

Als Coach bin ich die Nicht-Wissende und Un-Expertin – und genau das ist der Mehrwert. Insbesondere bei Personalverantwortlichen ist das Verständnis dafür, was ein systemischer Business-Coach können und wie er/sie arbeiten sollte, mittlerweile sehr ausgeprägt, viele von ihnen haben selbst eine professionelle Ausbildung durchlaufen. Landläufiger wird’s deutlich schwieriger, da der „Coach“ vom Sport über Chakka-Lebenshilfe bis hin zum vermeintlich einfach moderneren Begriff für Trainer genutzt wird.

Chancen und Nebenwirkungen: Die große Chance liegt darin, dass Coachees komplett in die Verantwortung für ihre Persönlickkeits- oder Lernentwicklung gehen. Anders als beim Berater steigt hier auch das Vertrauen in die Selbstwirksamkeit immens: Ein beratendes „du musst doch nur x machen, dann wird das schon – easy!“ ist nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit unpassend, sondern bestärkt immens Zweifel und Ängste, Herausforderungen selbstständig begegnen zu können. Das gilt übrigens in Zeiten von „New Work“ zunehmend auch für Teams: Sich selbst zu organisieren und zu regulieren ist deutlich anspruchsvoller, als Anweisungen auszuführen und bei Misserfolgen mit dem Finger auf „die da oben“ zu zeigen (der kleinste gemeinsame Nenner im Teamzusammenhalt, der auch erstmal ersetzt werden will…). Auch viele Führungskräfte eignen sich Coaching-Wissen an, was meiner Meinung nach extrem hilfreich ist, wenn sie ihr Selbstbild als „Führungskraft mit coachender Haltung“ (auf keinen Fall: Führungskraft als Coach) leben wollen. Denn die Umstellung kann für jede/n Einzelnen, Teams und ganze Unternehmenskulturen riesig sein.

Wie, wann, wie stark ich diese Rolle lebe: Eine gute Kommunikationsberaterin kann bislang auf das coachende Element am besten verzichten – noch. Der Berater, die Trainer, das wird stark aktiv nachgefragt, aber die methodische Coaching-Kompetenz kaufen meine AuftraggeberInnen in der Kommunikation bislang häufig noch unbewusst mit. Entsprechend sehe ich hier den größten Abstimmungsbedarf: Was passiert z.B. in einem Workshop-Prozess, wie verhalte ich mich, wer übernimmt welche Verantwortung für Prozesse und Ergebnisse, welche Rolle hat beispielsweise eine Führungskraft innerhalb eines Teamprozesses? Mir persönlich hat Coaching auch außerhalb direkter Beauftragungen als Coach (die maximal parallel laufen und sich nicht mit anderen Rollen vermischen sollten) nicht nur eine Menge neuer Methoden, sondern vor allem eine deutlich stärkere Reflektion und Verständnis meiner Rolle als konstruktiver System-Störer gebracht.

Moderator ist ein ähnlich dehnbarer Begriff, der wohl mit Assoziationen von Entertainment (Barbara Schöneberger?) bis hin zum rein technischen Facilitator, aktuell sehr gefragt in Online-Konferenzen etc., leben muss. Ich habe ihn erst vor kurzem zu meinem Rollendreiklang aus Beraterin, Trainerin und Coach hinzugefügt, weil diese Rolle meinem heutigen Selbstverständnis am ehesten entspricht und eventuell auch die „Beraterin“ mittelfristig verdrängen könnte: Ich möchte für Bewegung innerhalb von Unternehmensprozessen, Teams und in Köpfen sorgen, Menschen und Inhalte miteinander verbinden. Als Moderatorin kann ich auch am einfachsten Transparenz herstellen, indem ich meine Rollenwechsel klar an- und abmoderiere. Das sieht beispielsweise so aus, dass ich einen kurzen inhaltlichen Impuls ankündige (zum Beispiel zu Trends in der Internen Kommunikation oder psychologischen Grundlagen von Change-Prozessen – da darf ich mich als Expertin bezeichnen) und genauso deutlich die Rolle wechsele (beispielsweise über Breakout-Sessions, in denen ich nur noch als Meta-Moderation erlebbar werde). Meiner altersweisen Überzeugung nach passt das nicht nur am besten zu meiner Person, sondern auch zu den Anforderungen, die Kommunikations- und Change-Verantwortliche bewältigen müssen aktuell.

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