Bereits Anfang Juni erschien der Transformationswerk Report 2016, die bisher größte branchenübergreifende Studie zur digitalen Transformation in der deutschen Wirtschaft. Wer sie noch nicht bestellt hat, bitte hier entlang, lesen und wirken lassen – ich ziehe meinen Hut vor dieser Arbeit, Willms und Ingo!
Eine Kernerkenntnis, die die Autoren genau wie ich lieber nicht gehabt hätten, bestätigt sich leider immer wieder in den letzten Monaten: Die Führung überschätzt ihre Rolle und ihre Kompetenz in Sachen digitaler Transformation (warum ich diesen Begriff zu vermeiden versuche, habe ich vor einigen Monaten aufgeschrieben) massiv, ihre eigene Einschätzung und die ihrer Mitarbeiter gehen weit auseinander, im Endeffekt verschenkt die deutsche Wirtschaft Milliarden Wachstumspotential.
Nun ist die Versuchung groß, sich über diese Schere in der Einschätzung der Führungskompetenz lustig zu machen; Häme über „die Chefs“ ließ entsprechend nicht lange auf sich warten (n-tv fühlte sich direkt an Stromberg erinnert). Dabei ist dieser Witz ein trauriger Rohrkrepierer, denn wer könnte sich ernsthaft mit dem Gedanken an Führungsetagen arrangieren, die der aktuell wohl größten Herausforderung an ihr Business nicht gewachsen sind? Allen Mitarbeitern, die noch nicht innerlich gekündigt haben, muss dieser Gedanke doch schlaflose Nächte bereiten. Und die Geschäftsführer und Vorstände? Wie gehen die mit dem Wissen um, dass ihre Mitarbeiter sie teils fundamental anders einschätzen als sie es sich wünschen beziehungsweise als es sein müsste, damit man ihnen vertrauensvoll folgen möchte?
Ein Debakel, auf persönlicher, organisationeller und wirtschaftlicher Ebene.
Die Studie zeigt sehr umfassend, wer wem welche Kompetenzen und Verantwortlichkeiten zumisst und welche Gruppen in Unternehmen welche Themen und Ziele priorisieren. Für mich haben sich beim Lesen noch einmal zwei Aufgabencluster herausgestellt, die sich aus all diesen Einschätzungen zur Unternehmensrealität 2016 für die Unternehmenskommunikation ergeben.
Führungskräfte beraten und Führung (wieder) erlebbar machen
„Führung ist ein Beobachterphänomen“ ist ein Satz aus der systemischen Lehre, den ich sehr mag. Wenn 44 Prozent aller Führungskräfte ihre Kompetenz in Sachen „digitale Transformation“ als sehr hoch ansehen, aber nur 14 Prozent der Mitarbeiter diese Einschätzung teilen, dann ist das vielleicht weniger böswillig und zynisch auf Mitarbeiterseite als eine (noch) mangelnde Anpassungsleistung im Selbstverständnis der Führungskräfte á la: „Wenn ich hier kein Expertentum vorzuweisen habe, warum sollte man mir folgen? Ergo MUSS ich kompetent sein“ Meine These: Es geht weniger um die tatsächliche digitale Kompetenz (die sich sicherlich gelegentlich in Aussagen von Führungskräften manifestiert, aber ansonsten doch kaum erlebbar ist für die meisten Mitarbeiter) als um die erlebte Unsicherheit und Ziellosigkeit von Führungskräften.
Was Führungskräfte sehr viel stärker vermitteln sollten als Fachexpertise, ist eine Vision für ihr Unternehmen in Ihrem Markt, eine Strategie, die schlüssig vermittelt, wie sehr die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft die Rahmenbedingungen ihres Geschäfts ändert, welche Erwartungen und Chancen daraus erwachsen. Aus der nüchternen Betrachtung der Mitarbeiter ergibt sich für mich ganz pragmatisch sogar ein Vorteil: Niemand muss einen Gesichtsverlust befürchten, wenn er oder sie dazu steht, noch nicht alle Entwicklungen (und erst recht Tools etc.) zu kennen – denn dafür ist es ohenhin zu spät. Es gilt eher, wieder Grund gutzumachen. Glücklicherweise, denke ich gerade, denn vielleicht erleichtert dieser pragmatische Zwang eine Kräfteverlagerung vom „Manager“ vermehrt (zurück) zum „Leader“, der ein Ziel sieht und der Mannschaft ermöglicht, ihre Kompetenzen zu bündeln und auszuspielen. Denn die Digitale Transformation, so zumindest meine Überzeugung, IST absolut Chefsache – nur weniger im Befragungssinne der funktionalen Zuständigkeit, sondern als Leader und Ermöglicher.
Die Unternehmenskommunikation, insbesondere die Mitarbeiterkommunikation, hat die Kompetenz, Führung glaubwürdig zu inszenieren. „Glaubwürdig“, weil es hier nicht um des Kaisers neue Kleider geht (wie ge-ghost-writete Vorträge, deren Glaubwürdigkeit im operativen Alltag bröckelt), sondern um authentische Belege von Entwicklungs- und Führungswille. Um nur einige Beispiele zu nennen, wie Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurückgewonnen werden könnten: Reverse Mentoring-Programme, in denen Manager sich beispielsweise in Sachen Social Media von Mitarbeitern aufschlauen lassen oder Hospitationen, in denen Führungskräfte dem Alltagsgeschäft und Kunden wieder näherkommen. Gleichzeitig muss die berechtigte Erwartung von Mitarbeitern, kompetent geführt zu werden, eingelöst zu werden. Das heißt beispielsweise in einem Strategieprozess, dass Führungskräfte aller Ebenen sprechfähig und argumentationssicher sind. Je nach „Startpunkt“ hat die Interne Kommunikation hier in ihrer Komplexität sehr unterschiedliche Aufgaben auf dem Tisch: Vom klassischen Informationsmaterial (Präsentationen, FAQs etc.) vorbereiten bis hin zu dialogischen Formaten oder technischen Tools, die permanenten Austausch ermöglichen. Aber woher weiß ich, wo ich diesen „Startpunkt“ verorte und welche Vorgehensweise in meinem Unternehmen Früchte trägt?
Hier schließt sich eine zweite Kernkompetenz der Mitarbeiterkommunikation an:
Kulturwandel ermöglichen und unterstützen
Kommunikatoren müssen häufig, so zumindest meine Erfahrung, sehr dafür kämpfen, eine gründliche Bestandsaufnahme in ihrem Unternehmen machen zu dürfen. Führungskommunikation, Teamwork, Unternehmenskultur – „ach, lassen Sie mich doch in Ruhe mit diesem soften Quatsch!“ – häufig herrscht die Annahme vor, man kenne das Unternehmen doch ganz wunderbar. Je weicher der Fußboden unter den Sohlen wird, desto unwahrscheinlicher jedoch, dass die Hypothesen in den Chefetagen über Stärken und Schwächen ihrer Kultur (und diese Hypothesen gibt es immer, häufig durchaus unzimplerlich) mit der erlebten Realität der Mitarbeiter überreinstimmen. Die Watschn, die die Ergebnisse der Transformerstudie den Chefs erteilt, wäre sicher weniger schmerzhaft ausgefallen, wenn ein solcher Innenblick häufiger gewagt würde.
Denn in einer solchen Analysephase liegt ungeheures Potential: Ich lerne als Kommunikator, was Menschen im Unternehmen begeistert, welche Themen und Multiplikatoren „ziehen“, womit ich sie besser nie wieder „belästige“, welche Initiativen im Kleinen funktionieren, wo die Lücke zwischen eigenem Anspruch und Wirklichkeit am weitesten klafft… Auf dieser Erkenntnisbasis lassen sich Visionen und Strategien formulieren, die verstanden und unterstützt werden, die Ressourcen wie Zeit und personellen Aufwand realistisch einschätzen und die das Vertrauen in die Führungsstärke „der da oben“ steigern.
Apropós Vertrauen: Die Ergebnisse der Studie werben auch indirekt dafür, dass Führungskräfte ihren Kommunikationsleute durchaus mehr vertrauen dürfen. Immerhin wird die Unternehmenskommunikation von 68 Prozent der Befragten als Treiber der digitalen Transformation gesehen – im Vergleich zur Führungsebene, der diese Rolle nur von 43 Prozent zugeschrieben wird.