Über 10.000 Coaches gibt es schätzungsweise aktuell in Deutschland. Genau weiß das niemand, so intransparent ist der Markt und so ungeschützt ist diese Berufsbezeichnung.
Klar ist jedoch, dass Coaching immer mehr Anwendung und Akzeptanz findet. Etwa zwei Drittel aller Führungskräfte in Unternehmen hat Coaching-Erfahrung – Tendenz steigend.
Doch wie orientiert man sich auf der Suche nach einem (oder einer!) Coach, was sind Indikatoren für einen „guten“ Coach? Ich habe hier eine kleine Checkliste erstellt, die natürlich in Teilen subjektiv gefärbt ist: Immerhin behaupte ich von mir selbst, eine qualifizierte Coach-Frau zu sein.
Definition und Abgrenzung
Zunächst einmal: Jede*r darf sich Coach nennen. Fußball-Coach, Koch-Coach, Lifestyle-Coach… dieses Potpourri an Qualitäten und Qualifikationen ist vollkommen ok; auch, wenn es insbesondere im Business-Kontext dafür sorgt, dass klare Erwartungsklärungen und Abgrenzungen nötig sind. Begriffe wie „Business-Coaching“ legen schon einen klaren Rahmen fest und suggerieren ein gemeinsames Verständnis – aber sie helfen noch lange nicht, Spreu und Weizen zu trennen. Wenn ich von „Systemischem Business-Coaching“ rede, möchte ich damit zwei Dinge zum Ausdruck bringen: Zum einen Handlungsrahmen und Ausgangspunkt, die im beruflichen Kontext liegen. Es geht um zukunftsorientierte, (zunächst) feste Entwicklungs- oder Erkenntnisziele.
„Business-Coaching“ bedeutet jedoch nicht, dass nur der Nine-to-five-Mensch betrachtet wird. Das hängt unter anderem auch mit dem systemischen Mindset zusammen, das die komplexen Wirkzusammenhänge eben innerhalb eines Systems beleuchtet. Systemische Coaches sind keine Experten für die Themen ihrer Coachees (abgesehen von eventuellen fachlichen Überschneidungen) und begleiten Coaching-Prozesse als Beobachter und Moderatoren – nicht als Leiter oder Berater.
Ob ein Coach systemisch denkt und arbeitet, erkennen Coachees (so heißen die ge-coachten Personen) recht schnell an der Arbeitsweise: Systemische Coaches arbeiten beispielweise sehr viel über Fragen, häufig mit kreativen oder reflexions-/beobachtungsbasierten Methoden. Ein klares Indiz für „nicht-systemisch“ ist, wenn Coaches schnelle Lösungen parat haben, übermäßig Tipps geben oder Erfolgsprogramme „runterspulen“.
Auch die Selbstzuschreibung an Kompetenz halte ich für aufschlussreich: Ähnlich wie bei Restaurants, die 200 Gerichte verschiedenster Küchen auf ihrer Speisekarte versammeln, würde ich selbst misstrauisch bei Executive Coaches, die gleichzeitig Paarberatung und Harmonisierung mit Feenwesen im Angebot hätten…
Ausbildung und Anerkennung
Die Ausbildungsstätte gilt tatsächlich als relativ belastbarer Indikator, denn nach der Ausbildung erhalten nicht Coachees eine Zertifizierung (im Gegensatz zu Mediatoren, die mit der Zertifizierung einen rechtlich geschützten Titel tragen) – wohl aber der Anbieter. Die großen Verbände (Verteilung etc. ab S. 16 der letzten Marburger Coaching-Studie) bestätigen eine Ausbildungsqualität, von der man annehmen darf, dass sich diese qualitativ und ethisch auf die Teilnehmer niederschlägt. Wenige Institute bieten Prüfungen an, die wohl im Notfall in einer Verweigerung eines Zertifikats münden könnten (ob und wie häufig das in der Realität passiert, dazu kann ich nichts sagen). „Gute“ Ausbildungen dauern mindestens 120 Stunden (exklusive Eigenstudium, Arbeiten in Peer-Groups etc., wie ich es aus meiner Ausbildung an der der Hamburger coachingakademie und auch von vielen anderen Anbietern kenne).
Es lohnt sich also, sich zu erkundigen, wo ein Coach sein oder ihr Handwerk gelernt hat. Für diejenigen, die sich selbst für eine Ausbildung interessieren, empfehle ich außerdem, sich die Dozent*innen im Vorfeld genau anzusehen. Infoveranstaltungen, auf denen Interessierte Ablauf und Protagonisten der Ausbildungen kennenlernen, sind unter „den Guten“ ein Standard. Ich persönlich mag vielfältige Dozententeams (also sowohl fachlich als auch von der Persönlichkeit), an denen ich mich orientieren oder reiben kann.
Ungefähr die Hälfte aller Coaches ist in Berufsverbänden organisiert. Diese Verbände prüfen mit der Aufnahme formale Kriterien und später, ob ein Coach eine neue Erfahrungsstufe für sich beanspruchen darf – ich war zuletzt „Professional Coach DBVC“, habe mich mittlerweile allerdings aus dem Verband zurückgezogen. Mehrwert bieten Verbände beispielsweise auch für Personalentwickler, die Netzwerke und Weiterbildung pflegen.
Die Vermutung, dass mit einer Verbandsmitgliedschaft viel Engagement für die eigene Professionalisierung und die der Branche verbunden ist, liegt sicher nahe. Anders herum würde ich aber niemals einem „unorganisierten“ Coach einen geringeren Anspruch oder Qualität zuschreiben.
Also: Unbedingt auf qualifizierte Ausbildung achten, Verbandsmitgliedschaften können ein zusätzliches Indiz sein.
Coaching-Erfahrung
Meine Meinung gleich vorweg: Es ist möglich, sehr lange Dinge schlecht zu machen oder sich im Mittelmaß einzurichten. Von Aussagen wie „seit xy Jahren im Coaching aktiv“ und oft damit einhergehendem Statusgehabe würde ich mich also nicht per se beeindrucken lassen.
In Coaching-Ausbildungen gilt häufig ein Mindestalter (um die 30 Jahre), was sicher der pragmatischen Anforderung geschuldet ist, dass ein Studium und ein paar Jahre relevante Berufserfahrung sicher sinnvoll sind. Dazu kommt allerdings auch das Wissen, dass viele Unternehmen keine Coaches unter 35 im Haus haben wollen, weil sie ihnen nicht ausreichend Kompetenz zuschreiben und davon ausgehen, dass ihr „Standing“ bei gereiften Führungskräften zu gering wäre (mehr dazu unter „Beziehung“).
Ich habe sehr begabte, junge Coaches kennengelernt, die vom Berufseinsteiger bis zum Vorstand jedem Coachee wertvolle Unterstützung sein könnten. Dass Erfahrung (gerade am Anfang) für mehr Sicherheit, Flexibilität und eine sensiblere, schärfere Wahrnehmung sorgt – klar, aber was im Coaching zählt, sind Haltung und Aufmerksamkeit. Insofern: Keine Angst vor der „Jugend“!
Qualifikation (Felderfahrung und Methoden-Repertoire)
Die wenigsten Coaches in Deutschland leben vom Coaching allein. Gerade in Unternehmen wird auch auf die Berufserfahrung (insbesondere Branchen- und Führungserfahrung) und „Felderfahrung“ (in meinem Fall: Unternehmenskommunikation und Change-Umfeld) geachtet.
Das ist ein zweischneidiges Schwert: Natürlich ist es für eine Führungskraft im Konzern komfortabel und auch auf der Beziehungsebene hilfreich, wenn sie ihrem Coach nicht erst die gängigen Prozesse, Abkürzungen etc. erläutern muss. Gleichzeitig müssen Coaches sehr aufpassen, ihre „naive“ und überparteiische Beobachterrolle nicht über ihre kognitive Empathie („Ich kenne das“) zu verlieren. Theoretisch könnte ein Coach mit völlig anderem Hintergrund insbesondere dysfunktionale Dynamiken klarer sehen und bearbeiten als diejenigen, die aus Effizienzgesichtspunkten und wegen des richtigen „Stallgeruchs“ ausgewählt wurden.
In meiner beruflichen Realität funktioniert allerdings die Verbindung aus fachlicher Expertise und Coach-Rolle recht gut: Zum einen gehen die Schwerpunkte innerhalb meiner Kundenprojekte oft recht fließend ineinander über (was sich transparent kommunizieren lässt á la „eben habe ich einen Vortrag als Expertin gehalten, jetzt moderiere ich Sie in Ihrer Expertenrolle“) und zum anderen erlaube ich mir auch in klar abgegrenztem Coaching gelegentlich eine fachliche Einschätzung – allerdings deutlich als „Exkurs“ gekennzeichnet. Es ist auch ein deutlicher Unterschied, ob ich sage „ich habe in einer vergleichbaren Situation diese Erfahrung gemacht – wie ist das bei Ihnen?“ (neutrale Intervention als Coach) oder „ich empfehle Ihnen Aktion xy, weil das in Ihrer Situation wahrscheinlich am erfolgreichsten sein wird“ (Beratung mit entsprechender Ergebnisverantwortung).
Was wiederum Methoden und Tools im Coaching angeht, bin ich erneut bei der „kleinen, feinen Karte“: Ein guter Coach braucht ein abwechslungsreiches Repertoire, um verschiedenen Coachees und Anlässen gerecht zu werden. Aus meiner Sicht reicht es aber nicht, sich oberflächlich insbesondere mit komplexen Modellen auseinandergesetzt zu haben, um sie anzuwenden. So mag ich beispielsweise die Transaktionsanalyse, fühle mich aber (noch) nicht tief genug darin, um sie ganze Coaching-Prozesse tragen zu lassen. Mit dem psychometrischen Tool Lumina Spark hingegen beschäftige ich mich auch nach meiner Zertifizierung als Practitioner intensiv weiter, weil ich seinen Nutzen im individuellen und Team-Coaching sehe und es bei einer Vielzahl von Fragestellungen als tragendes Element (auch fürs Selbstcoaching zwischen oder nach Coaching-Terminen) sehe.
Ich persönlich wäre also eher vorsichtig bei Coaches, die von allem etwas anbieten. Wenn „alte Hasen“ sich beständig und qualitativ weitergebildet haben, transportiert sich das spätestens im Coaching-Prozess selbst; ein „Buzzword-Bingo“ auf der Website enttarnt sich flott mit Blick auf Ausbildungsstätte und -länge.
Und dann gibt es ja noch ein paar „Gatekeeper“ im Markt, die Interessierte nutzen können: Neben den bereits beschriebenen Verbänden kann das die Coaching-Datenbank von Christoper Rauen sein oder auch kommerzielle Anbieter wie Sharpist, mit denen ich kooperiere und die „ihre“ Coaches auf fachliche Eignung prüfen, bevor sie in ihren Pool dürfen.
„Schwimmende Faktoren“: Beispiel Beziehung
Eine Metastudie zur Wirkung von Coaching kam vor einigen Jahren zu dem Schluss „Wir wissen, dass Coaching wirkt, aber wir können nicht genau sagen, wie es wirkt.“ Diesen Umstand kann ich nachvollziehen, empfinde ihn aber als wissens- und wissenschaftsorientierter Mensch als unbefriedigend.
Ein mittlerweile gut belegter Wirkzusammenhang ist die Beziehungsqualität zwischen Coach und Coachee: Coachees erleben die Arbeit mit einem Coach als besonders hilfreich, wenn sie (früh) Vertrauen gefasst haben und dem Coach hohe Kompetenz zuschreiben. Über die Ambivalenz menschlicher Nähe im Coaching habe ich schon einmal etwas ausführlicher geschrieben. Ein starkes Signal, dass Coachees sich (zu sehr) auf den Coach als Vertrauensperson verlassen anstatt ihn oder sie als ihre Sparringspartner zu nutzen sind Sätze wie „Ich habe da etwas gemacht, das wird Ihnen nicht gefallen“. Für mich ist das jedes Mal eine gute Gelegenheit, um klarzustellen, dass das keine Rolle spielt – um dann nachzufragen, wie der Coachee darauf kommt und wie er oder sie das denn selbst bewertet. Und dann ist man zumeist wieder mitten im Lernprozess.
Ganz klar ist jedoch: Die besten Coaches können nichts bewirken, wenn Coachees nicht an positive Effekte der Zusammenarbeit glauben. Diese Erwartungshaltung hat auch viel zu tun mit dem letzten Punkt dieser Checkliste, nämlich der
Unternehmerischen Aktivität
Rechtsanwälte und Ärzte haben Gebührenordnungen, Mitarbeitende im öffentlichen Dienst Tariftabellen – und Coaches (zumindest als Freiberufler) können sowohl ihre Vergütung als auch ihr gesamtes Angebot frei gestalten. Bei Stundenhonoraren würde ich alles unter 120,- Euro pro Stunde als unrentabel verbuchen – das geht nur als individuelles soziales Engagement, Investition in spätere Kundenkreise oder bezuschusstes Geschäft (Arbeitsagenturen oder Institutionen wie die Hamburger Kreativgesellschaft bieten für bestimmte Personenkreise subventionierte Coachings an). Zu jeder Coaching-Session gehören Vor- und Nachbereitung, administrativer Aufwand, ggf. Anfahrtszeit und alle betriebsbedingten Kosten. Ein kostenloses Erstgespräch, in dem Ziele und Vorgehen des Coachings erörtert werden, gehört für mich auch auf jeden Fall zu den Qualitätskriterien eines seriös arbeitenden Coaches. Nach oben ist die Preisspanne offen; vierstellige Stundenhonorare sind insbesondere bei namhaften Executive Coaches keine Seltenheit.
Die Versuchung ist also groß, Coaching als Paketleistung anzubieten („10 Zeitstunden für pauschal xy“) oder gar als Event („eine Woche exklusives Coaching in Prag – Coachee zahlt Hotel, Anreise und täglich vier Stunden intensives Sparring“). So sehr ich das aus unternehmerischer Sicht nachvollziehen kann, so sehr lehne ich ein solches Vorgehen aus ethischer Sicht ab: Viele Coaching-Anliegen erledigen sich überraschend schnell, verlagern sich, erfordern eine längere Pause… all diese wichtigen Effekte lassen Coachees leichter zu, wenn sie flexibel und unabhängig bleiben. Ein festes Paket will ausgeschöpft werden (das erinnert mich an die Zwangsbeichten als katholisches Kind: „Irgendeine Sünde muss ich doch zu beichten haben“?), ein besonders teurer Coach muss auch gut für mich sein – und wenn ich das nicht empfinde, liegt es doch sicher an mir? Ich persönlich möchte nicht an solchen Dynamiken verdienen.
Ich mag den Satz „Menschen suchen sich die Tür, durch die sie gehen“. Gerade für Selbstzahler ist ein Business-Coaching im ersten Schritt eine oft große Investition. Ich würde ihnen raten, sich bei der Wahl eines passenden Coaches auf ihren Instinkt zu verlassen. Und sich selbst und dem Coaching eventuell auch eine zweite Chance zu geben, wenn’s beim ersten Mal – warum auch immer – nicht so gut gelaufen ist.